DIE STILLE STELLT KEINE FRAGEN, ABER SIE KANN UNS AUF ALLES EINE ANTWORT GEBEN.
ERNST FERSTL
Wenn die Natur sich zurückzieht um Winterschlaf zu halten. Wenn draußen alles zur Ruhe kommt. Wenn Flora und Fauna sich erholen von den Anstrengungen des vergangen Jahre, dann machen wir häufig das pure Gegenteil. Wir können uns nicht beruhigen, nahtlos geht das eine zum anderen Jahr ineinander über und wir eilen schon wieder davon um etwas hinterher zu rennen, von dem wir häufig nicht wissen was es eigentlich ist. Nun wurde uns Ruhe von oberster Stelle verordnet und manche Aktivitäten stehen sogar unter Strafe. Ein Extremjahr liegt hinter uns, indem wir uns mit größter Flexibilität ständig auf etwas anderes einstellen mussten. Krankheit ist um uns herum von verheerenden uns ungekannten Dimensionen. Wir sind ratlos, skeptisch, verzweifelt, in innerem Chaos und dann soll man auch noch zur Ruhe gezwungen werden. Scheinbar hat die unfreiwillig gewählte Ruhe keine Qualität. Grundsätzlich versuchen ruhiger zu werden, könnte aber dennoch ein erstrebenswertes Ziel für jeden von uns sein.
Mit dieser Winterruhe beschäftige ich mich schon seit vielen Jahrzehnten, denn 14 Tage des Januars verbringe ich normaler Weise in einem Kloster um zu unterrichten. Jetzt könnte man sich denken, welche Ruhe meint er denn, wenn er im Kloster arbeitet. Scheinbar ist arbeiten und Ruhe nicht miteinander zu vereinbaren und da bin ich ganz anderer Meinung. Es hat etwas mit der Art der Arbeit zu tun und wie sehr man sich darauf einlassen kann und darf. Genau das kann ich in diesen zwei Wochen im Januar.
Zuerst einmal ist der Ort wunderbar und kann einsamer gar nicht liegen. Das Zisterzienser Stift Zwettl im österreichischen Waldviertel ist eine Keimzelle an Ruhe und das dort seit Jahrhunderten gelebte Leben kann etwas Vorbildliches haben. Man muss dafür nicht Mönch oder Nonne werden, um das ein wenig miterleben zu können. Sich für eine gewisse Zeit an einen so einsamen Ort zurück zu ziehen genügt vielleicht schon. Die Regeln des Heiligen Benedikt formulieren es ganz klar ORA ET LABORA ET LEGE – Bete und Arbeite und Lese und die Zisterzienser im Stift Zwettl berufen sich genau darauf. Dem Tag eine gleichmäßige Struktur zu geben, dabei sich zu besinnen, zu arbeiten und zu lesen hat etwas Wunderbares an sich. Etwas davon möchte ich auf meinen Unterricht übertragen. Bei uns entspricht das Beten dem Einlassen auf die Gesamtheit der Natur, das Arbeiten ist für uns mit einem wundervollen Handwerk verbunden und lesen tun wir dabei täglich.
Während ich in diesem Kloster bin werde ich von meinen Schülerinnen und Schülern begleitet, die auf dem Weg sind Meisterinnen und Meister ihres Faches zu werden. Sie begleiten mich und ich begleite sie, das beinhaltet die Art des Unterrichtes. Der Name der Schule „Akademie für Naturgestaltung“ hat das Wort Akademie nicht nur als schicke Worthülse gewählt. An einer Akademie lernt jeder von jedem. Ich verstehe mich also nicht als jemand, der die Schülerschaft einfach füttert und sie haben das gefälligst zu verdauen, sondern vielmehr als Teil von Ihnen, der auch immer noch Antworten finden will. Wir kommen an diesen Ort mit den unterschiedlichsten Lebenserfahrungen und genau die sind wichtig für die gesamte Ausbildung. Der Mensch als Gestalter steht im Mittelpunkt und unser ganzes Streben geht dahin, das Medium unseres Ausdruckes, die Kinder Floras, zu respektieren und daraus soll etwas entstehen, dass aus der Symbiose von Mensch und Pflanze seinen Ausdruck findet.
Der Winter als Jahreszeit ist entscheidend um diese Ausbildung zu beginnen. Anfänglich scheint es paradox eine Ausbildung zur Blumenbindemeisterin oder –meister in einer Zeit zu beginnen, in der sich die Natur zurück zieht und ruht. Natürlich könnte ich Blumen aus der ganzen Welt beschaffen um mit Ihnen zu arbeiten, das würde den Sinn aber vollkommen verfehlen. Erstens ist das ökologisch nicht zu vertreten und nachhaltig ist es natürlich auch nicht. Von noch größerer Bedeutung ist allerdings für mich, dass die Fülle uns abhalten würde am Wesentlichen und Existenziellen zu Arbeiten. Es geht um feines Handwerk, um Urformen des Gestaltens, um Vereinfachung und die Gestaltung von Ruhe. Dass es dabei von Vorteil ist, wenn wir selbst innerlich zur Ruhe kommen ist einfach zu verstehen.
Zeitdruck ist der Feind von Ruhe und aus diesem Grund lasse ich den Schülerinnen und Schülern genau diese Zeit. Ich habe keinen festen Stundenplan. Wir lernen so lange, wie es erforderlich ist und lassen dafür Zeit für Diskussion und tiefe Auseinandersetzung. Zeit ist oft der Feind von Qualität. Mir geht es darum deutlich zu machen, wohin man in der Gestaltung gelangen kann, wenn man sich die Zeit einfach nimmt und gönnt. Das geht dann an manchen Tagen vielleicht mit etwas wenig Schlaf einher. Genau das haben Generationen von Mönchen und Nonnen gezeigt, dass es nicht schadet, wenn die Zeit dafür sinnvoll verbracht wird. Jetzt kann man sich fragen, wie das mit der Wirtschaftlichkeit aussieht, wenn man eine Ausbildung so durchläuft. Nach meiner Meinung kann man sich Geschwindigkeit aneignen durch TUN, TUN, TUN. Man kann aber nicht zur höchste Qualität kommen nur durch TUN, TUN, TUN. Wenn es um Begriffe wie Genauigkeit, Exaktheit und Perfektion in der Gestaltung geht, dann gehört dazu anfänglich einfach auch Zeit um das zu erreichen. Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen beschreibt genau das. Aus dem Himmel zu fallen ist ja eine verdammt schnelle Angelegenheit und genau das ist der Meister nicht. Langsam muss die Entwicklung gehen, hart ist der Weg, den wir oft dabei gehen müssen. Da gehört sicher auch die eine oder andere Verzweiflungsträne dazu, aber es geht nach meiner Meinung nicht anders. Das Ziel ist der Himmel und nicht der Ort wo wir beginnen, um da einfach so, mir nichts dir nichts, herunter zu fallen. Wenn die Zeit sinnvoll eingesetzt wurde und das Werk gelingt, dabei das Ergebnis überzeugt, man alles gegeben hat was man kann, dann macht sich das Gefühl von einer himmlischen Ruhe in uns bemerkbar. Wir sind beruhigt und merken, dass diese Ruhe uns gut tut.
All das ist möglich, wenn ich mich mit einem neuen Jahrgang von Kolleginnen und Kollegen für 14 Tage im Januar im einsamen Waldviertel in Österreich treffe. Für mich sind das Tage tiefer Freude und ich entspanne vollkommen dabei, weil es den Begriff der Zeit dort für mich nicht gibt. In der momentanen Zeitlosigkeit zu sein ist etwas vom Schönsten was es für mich gibt und ich bin glücklich genau das gemeinsam mit Menschen zu erleben, die den Sinn für wundervolles Naturgestalten mit mir teilen.
Die Fotos zeigen Übungen während der Praxis des ersten Kursblockes der Ausbildung, die der Theorie in jedem Kurs folgt.
Franz-Josef Wein